Scott Abbott und Žarko Radaković im Gespräch mit Nina Pops
(Ein Trialog)
Žarko: Man kann feststellen, Nina, dass es in relativ kurzer Zeit - während wenigen Jahren - zu vielen Änderungen bei deinen Arbeiten gekommen ist. Scott hat ein schönes Wort benutzt: Er sagte statt „Entwicklungen“ - „Wandlungen“. Zuerst hast du Formen in Hefte gezeichnet, dann auf Leinwänden beim Lesen meiner Bücher gearbeitet. Du hast in meinen Heften bei meinem Schreiben gezeichnet. Danach hast du auf Papier mit Graphit schwarz-weiß gezeichnet. Dann kamen plötzlich Cut-outs. Dann die Arbeit auf Holz. Dann die Arbeit auf Wänden. Jetzt auf Aluminiumplatten. Die Wandlung lief schnell. Und wer weiß, was man noch von dir erwarten kann... Wie kam es zu diesen Wandlungen? Woher kam der Impuls? Aus dem Kopf? Als Realisierung einer Idee? Oder kam es zu der Wandlung zufällig, etwa im Kampf mit dem Material?
Nina: Ein neues Material ist für mich immer eine neue Herausforderung. So war es mit dem Aluminium; so war es mit den Fundstücken- so ist es aber auch genauso mit jedem Blatt Papier.
Žarko: Es bleibt aber bei deinen Bildern immer eine Konstanz: Die abstrakten „Formen“ blieben immer da, nicht wahr? Früher hast du figurativ gemalt. Und dann hast du angefangen, abstrakt zu malen, zu zeichnen und jetzt zu schneiden. Nach dieser Wende hast du das Abstrakte nie mehr verlassen. Was hat dich zu diesen „Formen“ gebracht?
Nina: Eigentlich bist du auch Schuld daran. Das weißt du schon. (Sie lacht.)
Žarko: (Lacht.) Das wollte ich hören. Eines war in meiner Rezeption deiner Arbeit von damals ganz wichtig. Ich habe Dich kennengelernt, als du an einer Serie von Autoporträts gearbeitet hast. Dutzende Selbstporträts hast Du gemalt.
Nina: Ich glaube, es waren etwa 170 Bilder.
Žarko: Jedes Mal, wenn ich in dein Atelier kam, war ich überrascht von neuen Bildern aus der Porträtserie. Diese „Obsessivität“ hat mich sofort angezogen. Sie war mir von Anfang an wesentlich und bleibt das bis heute. Alles andere – die Formen, Farben, Linien, Cut-outs, das Schneiden, die Techniken, das Material, der Kampf mit dem Material – gehört in die „Landschaft“ deiner Kunst; das sind für mich, aus der Perspektive deiner Besessenheit betrachtet, die Details... Wie ging es bei dir, Scott? Was hat dich bei Ninas Arbeiten primär angezogen?
Scott: Ich möchte zuerst etwas fragen, zu den Wandlungen und zur Verwendung der Materialien. Viele Künstler haben „ihre Technik“; Knifer z.B. hat Bleistift, Graphit, Acryl, Papier und Leinwand verwendet. Immer wieder hat er mit denselben Materialien gearbeitet; einmal so, dann wieder so. Und so ging es immer weiter im Lauf der Jahre. Du aber, Nina, arbeitest ständig mit völlig neuem Material. Die Wandlung ist bei Dir selbstverständlich. Gibt es bei Dir eine Konstante?
Nina: Knifers Obsession bezieht sich immer auf ein Motiv, das er immer wiederholte. Meine Obsession besteht wiederum darin, Formen zu entwickeln, egal mit welchem Material. Von den Cut-outs habe ich jetzt schon mehr als 250 gemacht. Es läuft bei mir immer seriell. Wenn ich etwas anfange, bin ich davon besessen, weiter so zu arbeiten.
Scott: Das Papier zu schneiden - hast du das irgendwo gesehen?
Nina: Ein Schnitt ist wie eine Linie- und will immer Form sein. Schneiden ist ein Nein, ist Abgrenzung, Definition, Negation. Erst habe ich größere Formen herausgeschnitten, herausgenommen. Dann habe ich angefangen, die Farben mit Stiften aufzutragen. Und anschließend in umgekehrter Reihenfolge.I ch habe schon immer auf Papier gearbeitet. Ich liebe dieses Material.
Scott: Wirst du die Cut-outs auch weiter machen?
Nina: Schneiden ist im Grunde nichts anderes als zeichnen, nur etwas endgültiger; ja!
Scott: Als ich deine Notizhefte sah, war ich von deiner Arbeit fasziniert. Die Reihe der Bilder im Buch erlebte ich wie einen Zeitablauf oder wie die Zeilen in einem Gedicht. Die Formen – mit den vermerkten Entstehungszeiten – erzählten mir auch eine Geschichte. Das war für mich eine faszinierende Art der Verwandlung von Bildern.
Žarko: Ich muss dazu noch etwas erzählen: Ich traf Nina immer wieder, nachdem sie die figurative Malerei schon verlassen hatte, und angefangen hatte, in ihren Heften mit Buntstiften zu arbeiten. Plötzlich passierte Folgendes: Wir saßen oft zusammen im Café Formula uno in der Südstadt von Köln; Nina zeichnete in ihren Heften, ich schrieb an meinem Buch über Era Milivojević (einen befreundeten Künstler aus Belgrad). In meinem Manuskript beschrieb ich gerade Marina Abramović, Eras und meine Mitstreiterin aus den siebziger Jahren in Belgrad. Und auf einmal hatte ich das Bedürfnis, Nina in meinen Text einzuschalten. Im Manuskript ließ ich mitten im Geschriebenen ein leeres Quadrat frei - für Nina und ihre Zeichnung. Am unteren Rand des Quadrats gab ich sogar einen Titel für Nina an - „Marina Abramović“. Sofort reichte ich Nina mein Heft. Und in dem Quadrat entstand ganz selbstverständlich eine Komposition aus verschiedenfarbigen Flächen. Marina Abramović wurde zu einer Verschachtelung verschiedener abstrakter Formen. Ich sah, wie Nina sofort eine Sprache hatte, in der sie gleich reagieren und sich äußern konnte. Alles was sie sieht, hört, riecht, könnte sie in dieser abstrakten Sprache formulieren und „niederschreiben“, denke ich auch jetzt.
Nina: So hat es angefangen. Als du mir dein Buch Der Blick brachtest (in dem jemand aus dem Fenster eines Büros in der zwanzigsten Etage eines Hochhause auf die Stadt hinunterschaut), und ich das Buch zu lesen anfing, war ich davon begeistert, wie Blicke und Anblicke beschrieben wurden. Da hat Žarko mit Worten wie ein Maler gearbeitet. Ich wünschte mir sofort, das Geschriebene malerisch in Bilder zu übersetzen. Ich dachte aber, eine Landschaft zu malen, wäre langweilig. Es hätte keinen Sinn gemacht, figurativ in Žarkos Blick zurückzukehren. Ich musste das Geschriebene und von mir Gelesene in etwas anderes umwandeln, dachte ich. Zum Beispiel da, wo Žarko seinen Blick durch das Fenster auf einen Mann mit einer roten Krawatte und einem Luftballon in der Hand unten auf der Straße beschreibt, stellte ich mir plötzlich etwas Abstraktes vor. Ich malte einige abstrakten Formen für den Mann und dann eine Form für den Luftballon. Ich stellte dann weiter alles, was ich in Žarkos Buch empfunden habe, als abstrakte Formen dar. So fing es eigentlich an. So ist meine Formensprache entstanden.
Žarko: Ist nicht die Sprache das, was uns, Scott und mich, von Anfang an in deiner Formenwelt fasziniert hat? Dass jemand eine Sprache für alle Empfindungen und Wahrnehmungen hat. Dass jemand ein System geschafft hat, in dem alles zu stilisieren und zu formulieren war. Und die Zeichen, abstrakte Formen, waren jetzt die Basis und Bestandteil jedes Bildes. War das nicht so auch bei Kandinsky, Malevich und Mondrian?
Scott: Gibt es deine Sprache im Voraus? Oder entstehen die Zeichen immer im neuen, einmaligen Versuch, etwas darzustellen?
Nina: Immer geht es da um einen neuen Versuch, etwas darzustellen. Jede meiner Formen ist die Darstellung von etwas, was mich in diesem Moment beschäftigt und bewegt.
Scott: Über die Hintergründe der Formen wird der Zuschauer nichts wissen können?
Nina: Nein. Der Zuschauer wird selber entscheiden, wie er das sehen will oder kann.
Scott: Ich habe Zarkos Text Vampire gelesen, den du auf deine Art auch „gelesen“ und in deine Sprache „übersetzt“ hast. Entstanden sind sechs Leinwände deiner Rezeption in abstrakten Formen unter demselben Titel. Ich habe den Text anders als Du erlebt. War das falsch?
Nina: Auf keinem Fall war das falsch! Es soll unterschiedlich zu „lesen“ sein! Das fertige Bild ist ja auch mehr als die Geschichte, die der Auslöser war. Manches läßt sich vielleicht rückwärts lesen, aber nicht alles. Inzwischen habe ich sechsundzwanzig Hefte gezeichnet. Alle Details der jeweiligen Entstehungsgeschichte zu rekonstruieren fällt auch mir manchmal schwer - an den Ursprung des Erlebnisses und den Anstoß, kann ich mich dennoch meist sehr genau erinnern.
Scott: Du hast mir gesagt, dass du aus dem Bauch arbeitest. Was bedeutet für dich, „aus dem Bauch arbeiten“?
Nina: Die Formen entstanden als Reaktionen. Aber sie sind keine reinen „Übersetzungen“, jede Form hat auch ihr Negativ und ihre Nachbarschaft. Jede gute Form muß auch autonom sein.
Žarko: Andere Künstler verwenden Skizzenhefte und Notate als Vorstudien und zu Vorplanung des eigentlichen „Werkes“ - Wie ist das bei dir?
Nina: Meine Hefte waren zunächst etwas Unmittelbares; über den „Werkbegriff“ habe ich mir keine Gedanken gemacht, es spielte auch keine Rolle dabei, ob die Formen eher flüchtig oder präzise waren. Meine Bücher wurden zu klaren Geschichten. Was ist ein „Werk“, wenn nicht das?
Žarko: Peter Dibke, der erste Assistent und Fotograf von Gerhard Richter, konnte nicht verbergen, wie er von Ninas Heften fasziniert war. Als er sie das erste Mal sah, war er total fasziniert. Und er wollte gleich einige Hefte ausleihen und sie immer bei sich haben. Auch Peter Handke war ziemlich angetan, als er sah, wie Nina und ich in einem Heft einige Passagen aus Peters Buch Der Bildverlust in unsere „Sprachen“ – Nina in ihre abstrakter Formensprache und ich in meine handschriftliche kyrillisch-serbische – „übersetzt“ haben. Ja, die Hefte sind fertige Kunstwerke.
Scott: Ich war auch begeistert von eurer gemeinsamen Arbeit. Dabei, Žarko, kamen mir deine Buchstaben wie Bilder vor, und deine Bilder, Nina, wie Buchstaben. Nina, kannst du sagen, worauf deine Arbeit zielt, was du mit deiner Arbeit suchst?
Nina: Schwer. Ich habe das Gefühl, dass ich etwas gefunden habe, was ich ständig neu finden muss.
Scott: Würdest du von deinen Formen als Erfindung sprechen?
Nina: Für mich wäre es keine Befriedigung, immer bei einer „gefundenen“ Form zu bleiben. Bei mir geht es darum, immer wieder neue Formen, oder den Zusammenhang von zwei, drei, zehn, oder mehreren Formen zu machen. „Erfindung“ erscheint mir eher als Begriff für die Rückschau; nach vorne blickend, spreche ich lieber vom Finden.
Žarko: Scott hat heute eine wichtige Frage gestellt: die nach den Farben. Wie kombinierst du, Nina, die Farben? Manchmal prallen deine Farben aufeinander. Manchmal sind das sanfte Übergänge. Haben deine Farben eine Bedeutung? Gibt es bei dir eine Semantik oder eine Grammatik der Farbe?
Nina: Die Entscheidung für eine Farbe fällt meistens zusammen mit der für eine Form. Farbe hat im Bild aber neben seinem assoziativen Potenzial auch unterschiedliche Ausdehnungskräfte und einen jeweils unterschiedlichen Ort im Bild; sie kommt einem entgegen... oder tritt zurück...
Žarko: Mein Malerfreund Era Milivojevic sagte einmal: „Am Anfang war die Farbe...“ Er dachte dabei, dass nicht gilt, was man in der Schule oft gelernt hat – dass man zuerst die Umrisse machen und dann die Farben eintragen solle. sondern gleich mit der Farbe anzufangen, wie Jackson Pollock etwa, für den die Farbe alles war... Wie ist es bei dir?
Nina: Manchmal denke ich: „Ich will da gleich Grün auftragen.“ Und dann tue ich das direkt. Im Grunde genommen aber ist mein primäres Problem immer das der Form.
Žarko: Entsteht der Impuls für Form und Farbe vielleicht doch gleichzeitig?
Scott: Wie etwa „Form und Inhalt“ in der Literatur. Gibt es für dich dort einen Unterschied?
Nina: Ich versuche diesen Unterschied nicht zu machen... aber ich suche schon ein klares Ergebnis, eine deutliche Präsenz. Entweder etwas ist Form, oder es ist nicht!
Žarko Radaković (geb. 1947): Schriftsteller und Übersetzer. Romane: Vampires & A Reasonable Dictionary , Repetitions (beide zusammen mit Scott Abbott), Der Blick, Angst vor der Emigration, Das Buch über Musik (zusammen mit David Albahari) etc. Autor von Büchern über die Künstler Julije Knifer und Era Milivojevic. Übersetzer des Werkes von Peter Handke ins Serbische.
Scott Abbott (geb. 1949): Professor der Germanistik, Utah Valley University. Romane: Vampires & A Reasonable Dictionary , Repetitions (beide zusammen mit Žarko Radaković). Buch: Wild Rides & Wildflowers: Philosophy and Botany with Bikes (zusammen mit Sam Rushforth). Autor von Essays über das Werk von Nina Pops, Alex Caldiero, David Albahari und Peter Handke. Übersetzer von Werken von Peter Handke ins Englische.